„Schöpferisch denken und handeln“ (2016), Hohenwarsleben, Westarp

 

2017 in den Teilruhestand zu gehen und meine ärztlich-psychotherapeutische Tätigkeit zu beenden, diesen neuen Lebenseinschnitt vor meinen Augen, war es mir ein Bedürfnis, die Artikel, die ich im Laufe meiner Tätigkeit geschrieben, veröffentlicht und zum Teil auch nicht veröffentlicht hatte, in einem Band zusammenzufassen. So entstand dieses Buch 2016.

Der Buchtitel ist Ausdruck meiner Grundeinstellung, die ich in meinen beruflichen Rollen, als ärztlicher Psychotherapeut, Berater, Supervisor, Coach und Lehrender Transaktionsanalytiker gelebt habe. Heute würde er „Schöpferisch empfinden, fühlen, denken und handeln“ lauten.

„Der Weg vom Verhalten zum Handeln“, so könnte der Buchtitel auch lauten. Diese Entwicklungsrichtung kennzeichnet meine gesamte Literatur bis heute: Wie ermögliche ich den Klient*innen den Weg aus Verhaltenszwängen in ein selbstbestimmtes Handeln? Ich habe deshalb ganz bewusst den Text zum Modell der Handlungskaskade an den Anfang des Buches gestellt. Und nebenbei bemerkt: Die Handlungskaskade ist das Modell, das von meinen Klienten – wahrscheinlich auch von mir – am häufigsten verwendet wird.

Der Weg meines Schreibens und der Veröffentlichungen,
der sich in diesem Sammelband von 1982 bis 2016 ablesen lässt, begann mit einer sehr kurzen und prägnanten Zusammenfassung meiner Erkenntnisse und Therapieempfehlungen im Umgang mit Patient*innen, die einen Suizidversuch unternommen hatten. Ich kann auch heute nach all meinen Erfahrungen diese Zeilen nicht treffender schreiben, ich kann diesen Artikel „Therapie und Umgang mit Suizidpatienten“ nur unterschreiben.

Der Weg führt dann über die Beschreibung, Verortung und „Beachtung von Grundbedürfnissen in der Therapie“, zur Erweiterung des Zuwendungsprofils von McKenna, zur Erweiterung der Grundgefühle um Neugier, Schmerz, Ekel, Scham und Schuld und zum Dreistufenmodell transaktionsanalytischer Beratung und Therapie von Bedürfnissen und Gefühlen.

Ich setzte mich seit 1978 sehr ausführlich mit der Ichzustandstheorie auseinander und gab ihr eine neue durchgängige Ausrichtung: Mit Eltern- und Kind-Ichzuständen bilde ich nur Skriptverhaltensweisen ab, mit Erwachsenen-Ichzuständen skriptfreies Handeln. Ich benutze für Eltern-Ichzustände die Begriffe „alte übernommene Ichzustände“ oder „exteropsychische Ichzustände“, für Kind-Ichzustände „Alte selbst entwickelte Ichzustände“ oder „Archepsychische Ichzustände“, für Erwachsenen-Ichzustände „Neue, aktuell entwickelte Ichzustände“ oder „Neopsychische Ichzustände“ oder in der aktuellen Beratungssituation passende, neu kreierte.
Der Kategorie Erwachsenen-Ichzustände, etwas karikiert ausgedrückt zu reinem logischen Denken und zur Computer Metapher verkommen – hauchte ich mit meiner Differenzierung und Darstellung, die sich auch darin ausdrückte, dass ich – insbesondere in der Verwendung von Egogrammen – eine Einteilung der Erwachsen-Ichzustände in fürsorgliches, Kritik übendes oder Rückmeldung gebendes, nachdenkendes, nachfühlendes, rebellierendes, angepasstes und freies Erwachsen-Ich vornahm, wieder Leben ein: „Von der Kunst erwachsen zu handeln.“
Das tat sinngemäß gleichzeitig, ohne dass wir voneinander wussten, Susan Temple mit ihrem Functional Fluency-Modell (2002), das ich erst nach meiner Veröffentlichung (2001) kennen lernte. Heute benutze ich ihre Modi als Verhaltenskategorien und erweiterte diese um die Kategorie wehrhaftes, selbstbehauptendes Verhalten, das Andrea Landschof (2018, S. 103) übernommen hat.
Der herkömmlichen Ichzustandstheorie fehlte eine durchgängige einheitliche Definition und Logik, die ich mit meiner Veränderung wieder einführte.

Als eine elegante, sehr hilfreiche Ergänzung zur herkömmlichen Darstellung der Ichzustände und der Transaktionsanalyse im engeren Sinne ergab sich dann für mich – aus der durchgängigen Logik folgend – die Rollenintegrierte Transaktionsanalyse (RiTA), ein psychosoziales Transaktionsmodell. In diesem Modell werden die Person und ihre innere Organisation mit Ichzuständen, ihre Eingebundenheit in den Kontext mit den drei Hierarchieebenen gleichgeordnet, übergeordnet, untergeordnet und ihre Rolle(n) parallel nebeneinander abgebildet. Personen und Transaktionen werden im Kontext abgebildet.

Der Beitrag „Ichzustände und Rollenintegrierte Transaktionsanalyse – eine Überarbeitung der Ichzustandstheorie“ fasst meine Veränderung der Ichzustandstheorie zusammen und ist nur in diesem Band veröffentlicht.

Was es psychodynamisch und ichzustandsanalytisch in sich hat, wenn Menschen „Vor Freude weinen“, stellte ich mit dem Zeitintegrationsmodell als Orientierungshilfe in der Persönlichkeitsentwicklung dar. Die Regressionsanalyse von Eric Berne ergänzte ich um eine Progressionsanalyse. Erinnern, Erschließen, Vorstellen, Planen, Umsetzen und Weiterentwickeln wurden Begriffe, die, in einer Lemniskate – einer liegenden Acht – dargestellt je nach Situation als wichtige Vorgehensweisen in einem Zeitkontinuum erscheinen und durchlaufen werden können, um alte Muster aufzulösen und Situationen zu meistern. Die Botschaft des Zeitintegrationsmodells lautet: Die Vergangenheit würdigen, die Zukunft ahnen, in der Gegenwart gestalten.

Mit meinem ressourcenorientierten Ansatz ergänzte ich die Antreibertheorie und entwarf das Dynamische Handlungspentagon. Mit ihm betrachte ich die Dynamik und Struktur des Getrieben Seins, die Antreiber- und Gegenantreiberverhaltensweisen als Über- und Untertreibungen der hinter diesen Verhaltensweisen liegenden Fähigkeiten, die – bewusst ausgebildet und eingesetzt – Antreiber- und Gegenantreiberverhaltensweisen überflüssig werden lassen.

Mit dem Meisterschaftsmodell wandte ich mich sehr direkt der Formulierung einiger schon immer in meiner Arbeit schlummernden Merkmalen und Prinzipien gelingenden Handelns zu. Die Herausarbeitung und das Begreifen von Prinzipien gelingenden Handelns schätze ich in allen professionellen Begleitungsformen als Königsweg einer langfristig wirksamen Befreiung aus hinderlichen Gewohnheitsmustern und Zwängen, zur Entwicklung einer kontinuierlich reifenden Persönlichkeit und zur stetigen Weiterentwicklung von Autonomie ein. Zu wissen, wie etwas schief läuft, reicht nicht aus, um es wirksam hinter sich zu lassen. Es durchlebt und sich bewusst gemacht zu haben, wodurch etwas gelingen kann, führt auf den kontinuierlichen Weg zum Erfolg.

Ich hatte Vincent Lenhardts „Stufen in der Entwicklung zur Autonomie“ gelesen und war begeistert von diesem Modell der Autonomieentwicklung. Nach vielen Jahren der Anwendung und Reifung stellte ich meine Version dieses Modells – mit den Begriffen Hingabe, Abgrenzung, Eigenständigkeit, wechselseitige Bereicherung und Rollenfreiheit – auf einem DGTA-Kongress in Stuttgart vor. Vito Kamphaus, ein Coach und Kollege, sprach mich an und schenkte mir „Les Responsable Porteurs des Sens“ von Vincent Lenhardt. Mit meinem wenigen Französisch und dem Wörterbuch übersetzte ich für mich dieses Büchlein, in dem er sich mit der Entwicklung von Managern auseinandersetzt, und formulierte dann ausgehend von einer seiner Darstellungen das Modell „Stufen in der Entwicklung als Führungskraft“. Es wurde für mich und viele meiner Coachees und auch manche meiner Kolleg*innen zu einer wunderbar hilfreichen Landkarte.

Schließlich finden Sie noch in diesem Buch noch einen Beitrag Selbstverständnis, Auftragsklärung und Prozessbegleitung – Beratung im Schulsystem, der nur hier veröffentlicht ist. In diesem Artikel habe ich die Auftragsklärung und Vertragssituation bei professionellen Begleitungen am Beispiel der Beratung im Schulsystem dargestellt. Mit den Modellen Vertragsarbeit, Rollen, Rollen im Dramadreieck und Handlungskaskade zeige ich auf, wie der Prozess einer erfolgreichen Beratung gelingen kann.

Traumarbeit halte ich für die eleganteste Methode zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit und ich mache sie gefühlt schon mein ganzes Leben lang. Deshalb schließt dieses Buch mit dem Beitrag „Mit Träumen lernen – Traumarbeit in Aus- und Weiterbildungsgruppen“, der im Info der DSGTA im März 2016 erschienen ist:
„Traumarbeit und die Arbeit mit Symbolen im Tagbewusstsein helfen, Unbewusstes ins Bewusstsein zu holen, sich tiefgründig und mit Gefühlen auszutauschen, sich ich in der gegebenen Realität zurechtzufinden, sich von der Vergangenheit zu verabschieden, sich eine Zukunft vorzustellen und sich in der Gegenwart mit allen Potenzialen kreativ zu entfalten und zu erden“ (Schneider 2016b S. 352).